London. Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie nach einem anstrengenden Tag nach Hause kommen? Sie endlich die Schuhe ausziehen und Ihre Batterien aufladen können? Für ein paar Stunden den Stress und die Sorgen vergessen und einfach nur das tun, was der eigenen Seele guttut? Kennen Sie das Gefühl, wenn die Leichtigkeit einen durchströmt, das Herz zu flattern beginnt und ohne jegliches Zutun ein Lächeln auf Ihrem Gesicht erscheint? Wenn Sie spüren, dass Ihre Augen zu strahlen beginnen und der Körper entspannt? Probleme sind wie weggeblasen und man genießt einfach nur den Moment? Ich hoffe, dass Sie dieses Gefühl kennen, denn genau das verspüre ich, wenn ich hierher zurückkehre – nach London. Der Moment, wenn ich den Stansted Express (ein Schnellzug der den Flughafen Stansted mit dem Londoner Zentrum verbindet) verlasse und den Bahnsteig der London Liverpool Street Station betrete. Wenn ich die ersten Schritte gehe und die Menschen um mich herum in ihrer Landessprache sprechen. Wenn das Please mind the gap between the train and the platform das erste Mal an meine Ohren dringt oder ich das Bahnhofsinnere durchquere, um zu den Tubes (U-Bahnen) zu gelangen und mit einem breiten Lächeln vor der U-Bahn-Linienübersicht stehen bleibe. Meine Augen die gelbe ‚Circle Line‘ oder die hellblaue ‚Victoria Line‘ erfassen. Genau in diesem Moment habe ich dieses eine Gefühl! Das Gefühl, dass mein Herz auf und ab hüpfen und meine Batterien aufladen lässt. Das Gefühl, endlich wieder hier, zu Hause, zu sein.
Im Sommer sind die U-Bahnstationen unendlich heiß und stickig. Es geht meter tief unter die Erde, die Tunnel die das U-Bahnnetz verbinden, sind verwinkelt und verschachtelt. Und doch so einfach wie brillant. An jeder Kreuzung gibt es Schilder, auf denen beim ersten Blick bereits zu erkennen ist, in welche Richtung man laufen muss, um dort hinzukommen, wo man hin möchte. Ich schreite zielstrebig voran. Es ist nicht mein erstes Mal in dieser Stadt und hoffentlich auch nicht das Letzte. Ich folge dem Strom aus Menschen. Einwohner*innen, die zur Arbeit eilen oder ihren Einkauf nach Hause bringen wollen. Touristen, die mit voll beladenen Koffern zum Hotel fahren oder konzentriert auf den Plan schauen, um den richtigen Ausstieg zu erwischen. Ich setze mich neben einen Mann im feinen Anzug. Er schaut auf sein Handy, wie eigentlich die meisten Fahrgäste. Er spielt ‚Solitaire‘. Die Frau zu meiner linken telefoniert angeregt, spricht aber kein Englisch. Es hört sich arabisch an. Gegenüber sitzen zwei Kinder, die mit ihren Actionfiguren spielen, während die Mutter ihre Augen geschlossen und den Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt hat. Der Zug hält, es steigen Leute aus und andere wieder ein. Meine Augen fliegen durch den Wagon und ich lese interessiert die Rückseite der ‚Daily Mail‘ die ein Mann schräg gegenüber von mir zu lesen begonnen hat. Mein Herz tanzt immer noch vor Freude, während mein Kopf – einfach nichts tut. Ich genieße den Moment und verpasse sogar meinen Ausstieg. Doch es beunruhigt mich nicht. Ich steige einfach eine Station später aus und beschließe den restlichen Weg zu Fuß zu gehen. Wenn Sie die Gelegenheit haben, London einmal zu besuchen, dann kann ich Ihnen nur empfehlen: tun Sie es zu Fuß! Natürlich können Sie Ihre Zeit auch damit verbringen in den verschiedenen U-Bahnen von A nach B zu kommen, auch das hat seinen Reiz, doch wenn Sie London wirklich kennenlernen wollen, laufen Sie. Deshalb sollte man vor allem im Spätfrühling bis Frühherbst an die Themse reisen, denn im Herbst und Winter regnet es wirklich viel! Im Sommer aber hat man die Gelegenheit die wunderschönen Bauten zu erblicken und auch abseits der Sehenswürdigkeiten Dinge zu entdecken, die einem sonst verborgen geblieben wären.
Ich setze meine Reise zu Fuß fort und laufe in Richtung St. James Park. Der obligatorische Besuch am Buckingham Palace gehört genauso zum Pflichtprogramm wie das Foto vor dem House of Parliament. In London können alle wichtigen Sehenswürdigkeiten bequem zu Fuß erreicht werden, doch nehmen Sie sich die Zeit an der Themse entlangzugehen. Hier können Sie Musikern lauschen, Malern beim Zeichnen beobachten oder für einen kurzen Moment innehalten und ein vermutlich viel zu überteuertes Eis essen. Und doch ziehe ich aus diesen Momenten so viel mehr Kraft und Erinnerungen als bei einer Fahrt im London Eye, dem Riesenrad an der Themse. Die Sonne scheint und die Menschen sind gut drauf. Egal wo man hinsieht und hinhört, überall wird gelacht, geredet und genossen. Dabei ist es den Londonern egal, ob jemand ein Kopftuch trägt, zwei Jugendliche selben Geschlechts sich auf der Bank küssen oder ob man eine andere Sprache spricht; leben und leben lassen wird in London gelebt. Und das obwohl London in der Vergangenheit bereits einige Terroranschläge durchleiden musste. Doch scheint es mir, als würden sie sagen ‚Jetzt erst recht‘ und nicht in Angst leben, sondern mit stolzer Brust vorangehen. Es ist faszinierend und beeindruckend zugleich, denn ich für meinen Teil kann behaupten mich in keiner (Groß)Stadt so sicher zu fühlen wie hier. Dieses Gefühl der Stadt ist schwer in Worte zu fassen, denn ich weiß, dass jeder Versuch dies zu beschreiben, nicht einmal ansatzweise die Wirkung erzielen kann, die ein eigener Besuch in London auszulösen vermag. Vielleicht ist meine Sicht auf diese Stadt auch von kindlicher Naivität oder meiner ganz eigenen Liebe zur englischen Sprache geprägt und so eigenartig die Briten einem auch oftmals erscheinen, so lebt man hier in London in einer ganz eigenen, einnehmenden und (für mich) faszinierenden Welt.
Inzwischen haben mich meine Füße durch die halbe Stadt und in den Hyde Park getragen. Es ist schon später Nachmittag und seit heute Morgen bin ich auf den Beinen, sodass ich mir meinen Rucksack schnappe und die Augen über die weiten Flächen des Parks wandern lasse, bevor ich mich auf den Boden setze. Das Gras ist durch die Sonnenstrahlen schon leicht vergilbt, selbst im Schatten ist das saftige Grün kaum noch zu erkennen. Ich lege mich hin, platziere den Rucksack unter meinen Kopf und atmete tief durch. Die Sonne findet ihren Weg durch die luftigen Baumkronen, hinab auf mein Gesicht. Ich liege halb im Schatten, halb in der Sonne. Es ist angenehm warm. Lange nicht mehr so heiß wie am Mittag, wenige Stunden zuvor. Es ist kurz vor 16:00 Uhr, Tea Time Zeit. Und trotzdem ist der Park gut besucht. Ich sehe mich um. Nicht weit weg von mir liegen zwei Freunde, jeder mit einem Buch in der Hand. Weiter hinten sitzt ein älterer Herr auf der Parkbank vor einem Brunnen und schaut den kleinen Vögeln zu, wie sie sich im Wasser abkühlen. Hinter mir höre ich Schritte die sich nähern und wieder entfernen. Ebenso wie Stimmen. Familien, Geschäftsleute, Menschen mit ihren Hunden. Ein Fahrradfahrer saust vorbei und die leichte Brise trägt von irgendwoher ein schallendes Lachen an meine Ohren. Ich lächle und blicke hinauf in den Himmel. Leichte Schleierwolken schieben sich über das malerische Blau und verdecken die Sonne für einige Momente. Ich schließe meine Augen und ein Lächeln umspielt abermals meine Mundwinkel. Mein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig, während sich mein Körper langsam immer weiter ins Gras fallen lässt.
Ich kann das Spiel aus Licht und Schatten vor meinen geschlossenen Augen sehen. Auf der nicht weit entfernten Straße hupt erst ein Auto, dann ein zweites, doch es stört mich nicht. Hier stört es mich ganz und gar nicht. Ich spüre wie das dumpfe Geräusch der Laufschuhe am Wegesrand immer leiser wird. Die Gespräche verzerren sich und alles um mich herum wird weich und leis. Ich spüre wie ich in den Schlaf gleite. Alles um mich herum ist dunkel und doch fühle ich mich geborgen. Zufrieden. Ich schlafe. Vielleicht nur für fünf Minuten, vielleicht für zwanzig. Vielleicht ist auch eine Stunde vergangen, als ich wieder beginne Stimmen wahrzunehmen. Die Sonne strahlt immer noch auf mein Gesicht. Die Wärme erfüllt mich mit Leichtigkeit und das Lächeln kehrt auf meine Lippen zurück. Ich höre wie ein Auto vorbeifährt und jemand nach seinem Hund ruft. Ich atme tief ein. Spüre wie mein Herz schlägt. Der Rasen unter mir kitzelt ein wenig. Ein Windstoß weht über mein Gesicht, ich atme aus und öffne die Augen. Ich liege hier, immer noch auf dem Rasen – in meinem eigenen Garten. Mein Herz lacht vor Freude. Es hüpft und springt. Ich sehe mich um, sehe meinen Nachbarn freundlich grüßen und ich grüße mit erhobener Hand zurück. Ich blinzle hinauf zur Sonne. Dann schließe ich meine Augen. Nur noch einmal für einen kurzen Moment.
Ich bin zu Hause. In meinem eigenen Garten. Körperlich.
Doch im Herzen liege ich immer noch im Hyde Park auf der Grünfläche unter einen der dicken Eichen. Ich bin zu Hause. In London.